Bergwandern als Integrationsprojekt
Aus einem Lautsprecher schallt orientalische Musik durch die Küche der Winteregghütte des SAC Biel, das Küchenteam tanzt mit. Um den Spültrog stehen fünf Personen aus vier Ländern und von drei Kontinenten. Hurtig will das Geschirr von 24 Personen abgewaschen werden, denn bald soll es losgehen auf die Wanderung zum Daubensee. Noch ein Brösmeli Zopf vom Teller wischen, dann wandert der nächste Teller zum fleissigen Abwascher Ali und von dort zu Abtrocknerin Luzia.
Das Projekt ‘Berge Erleben’
«Berge erleben» ist ein Projekt, welches zum Ziel hat, Flüchtlingen die Schönheit der alpinen Natur näher zu bringen und den kulturellen Austausch zwischen in der Schweiz aufgewachsenen Personen und Asylsuchenden zu fördern. Ein Komitee bestehend aus einer Gruppe von Freunden und Bekannten organisierte ein erstes viertägiges Lager in der Winteregghütte bei Kandersteg-Sunnbüel, welches am Wochenende vom 21. bis 23. Juli 2018 stattfand. Finanziell wurde das Lager vom Pangaea Project getragen und von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe unterstützt.
Das Wetter spielte nicht ganz mit- aber Einfeuern, Material trocknen und Karten Spielen störte niemanden!
Insgesamt nahmen 24 Personen teil, davon 9 in Mitteleuropa aufgewachsene Personen und 15 Asylsuchende und Geflüchtete. Wanderungen, Baden und Grillieren am Arvenseeli, Spiele und Workshops zu verschiedenen Themen wie z.B. Kartenlesen und Naturfotografie waren die Hauptpunkte des abwechslungsreichen Programms.
Nur Petrus kooperierte nicht und schickte eine der wenigen Gewitterfronten des gesamten Juli 2018 bereits am Freitagabend geradewegs über das Sunnbüel. Dass die Gruppe somit schon bei der ersten Wanderung am Freitag bis auf die Haut nass wurde, schien die wenigsten Teilnehmenden zu stören. Einfeuern, Material trocknen und Karten spielen hiess die Devise. Für trockene Füsse am nächsten Wandertag sorgten die von Outdoor Interlaken ausgeliehenen Schuhe und eine Extraportion Schoggibananen gabs dank der Unterstützung von Coop.
Ein Lager füreinander und miteinander
«Ich möchte euch allen ganz herzlich danken», sagt Karwan Almerey in der abschliessenden Feedbackrunde am Montagmittag und meint dabei OrganisatorInnen und TeilnehmerInnen zugleich. Karwan lebt seit gut zweieinhalb Jahren in der Schweiz. Der gebürtige Syrer wandert sehr gern und hat bei der Organisation des Lagers mitgeholfen. Die ganze Gruppe hat vier Tage super zusammengearbeitet, um allen ein gutes Naturerlebnis zu ermöglichen.
Karwan wohnt seit zweieinhalb Jahren in der Schweiz und wandert sehr gerne.
Es wurde zusammen gekocht, von schweizerisch bis türkisch/persisch mit tibetischem Gewürz; neue Spiele wurden gelernt, Wanderungen geplant und durchgeführt, in kalten Bergseen gebadet, viel gelacht, Tänze, Lieder und Wörter aus verschiedenen Sprachen ausgetauscht und deutsch-sprachliche und sportliche Leistungen gemeinsam erreicht. Wer baut das schönste Floss, wer kann weiter springen – oder Kirschkerne weiter spucken? Wer erspäht in der Felswand des Daubenhorns den Gemmi-Klettersteig? Die Grenzen zwischen OrganisatorInnen und TeilnehmerInnen verschwammen, alle sind einander dankbar für die schöne Zeit.
Es wurde zusammen gekocht, gelacht, gesprochen und gewandert. Die Grenzen zwischen Organisatoren und Teilnehmern verschwammen.
Livio Knöri, Ko-Initiant des Lagers, zieht eine positive Bilanz; «Für die Asylsuchenden war es ein Ausbrechen aus dem “wartenden” Alltag in die Natur, mit Aktivitäten und einer wohltuenden Portion Normalität. Ich bin überzeugt, dass es für alle Beteiligten ein schönes Erlebnis war und den interkulturellen Austausch und das Verständnis förderte. Persönlich hat es mich besonders gefreut, dass sich die erwarteten Herausforderungen im Aufeinandertreffen der Kulturen nicht bewahrheiteten.»
Und er fügt hinzu: «Ich kann allen empfehlen, eine derartiges Erlebnis zu probieren und neu angekommenen Personen in der Schweiz zu gemeinsamen Aktivitäten einzuladen».
Mein Ziel für nächstes Jahr
Die erste Durchführung eines “Berge erleben”-Lagers ist erfolgreich geglückt und wartet auf seine Wiederholung. Es sind sich alle einig, dass noch viele Berge auf glückliche Besteiger warten, und dass man sich gerne wiedersehen will. «Ich will wieder wandern und diese Leute wieder treffen, das ist mein Ziel», schrieb Amiri aus Afghanistan in der letzten Runde persönlicher Reflektion und Zielfindung am Montag auf seinen Zettel. Ein erstes Wiedersehen hat bereits Anfang September als Fotoabend mit gemeinsam vorbereiteten Buffet stattgefunden. Wann, wie oft und mit wem Amiri und zahlreiche seiner Landsleute und anderer Flüchtlinge wieder wandern gehen, wird nicht nur von ihnen selber abhängen, sondern auch vom weiteren Willen naturbegeisterter Schweizer und Schweizerinnen, die Neuankömmlinge organisatorisch und finanziell bei einem kleinen Stückchen Freizeit und Freiheit unterstützen.
Mitte Juli 2018 unterstützte das Pangaea Project das Projekt ‘Berge Erleben’, bei dem über 15 Asylsuchende gemeinsam mit Schweizerinnen und Schweizern das Wandern, die Berge und einander kennen lernten. Eine Wiederholung ist geplant.